Wir fühlen Kummer und Schmerz ... |
Remigius Bütler, "Wir fühlen Kummer und Schmerz": Srebrenica – Schauplatz des Grauens und "Die Toten vom Odenbruch, unterwegs mit dem Umbetter Erwin Kowalke"
Autor/Redaktion: Remi Bütler
Halbstündige Radiosendung Schweizer Radio DRS, „Kontext“ vom 23. 8. 2010
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Halbstündige Reportage für Schweizer Radio DRS Redaktion „Kontext“, ausgestrahlt am 3. September 2009:
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"Wir fühlen Kummer und Schmerz": Srebrenica – Schauplatz des Grauens
Zwei Männer und zwei Frauen schildern, was sie 15 Jahre nach dem Massaker von Srebrenica empfinden. Einer von ihnen ist Hasan Hasanovic. „In meinem Herz gibt es keinen Platz für Hass gegenüber den Serben“, sagt der 34jährige Kriminologe, dessen Vater und Zwillingsbruder umgebracht wurden. Hasan konnte über die Berge fliehen. Heute ist er bei der Gedenkstätte in Potocari tätig, wo Tausende identifizierter Opfer begraben sind. „Die Serben müssen sich mit den Folgen des Genozids auseinandersetzen und zugeben, dass er stattgefunden hat. Erst dann kann der Prozess der Versöhnung beginnen“. 2009 wurde auch Amra Begics Vater in Potocari begraben. Die 32jährige hat erfahren, dass er kaltblütig exekutiert wurde. Viele Täter sind nach wie vor auf freiem Fuss. „Ich hoffe, dass man sie auf der Strasse aufgreift. Es ist der einzige Weg, um mit den Serben zusammen zu leben, die nicht an Kriegsverbrechen beteiligt waren“. 26 Verwandte hat die junge Frau verloren. „Zwar mag ich die Serben nicht, aber ich hasse sie nicht“. Auch ihre Tochter soll weder hassen noch vergessen. Für eine echte Versöhnung erwartet Amra von ihren bosnisch-serbischen Nachbarn eine Entschuldigung. „Sie sollen erklären, dass es ihnen leid tut und den Genozid beim Namen nennen“. 2009 wäre Amra am liebsten von Srebrenica weggezogen, als serbische Ultranationalisten anreisten. „Sie sagten, ‚Srebrenica’ werde sich wiederholen. Warum seid Ihr zurückgekommen? fragten sie und sangen Tschetnik-Lieder. Da wollte ich nur noch weg, weil ich nicht will, dass mein Kind so etwas mit ansehen muss“. Der 30jährige Damir Jusufovic hat in Zeleni Jadar, einer Nachbargemeinde von Srebrenica mit ansehen müssen, wie die Soldateska das Haus seiner Familie im Mai 1995 in Brand steckte. Die Gefangennahme der muslimischen Männer überlebte er dank einer List: Damir gab vor, geistig behindert zu sein, deshalb liessen ihn die bosnischen Serben ziehen. „Ich habe über 100 Verwandte verloren“, ist sich der Landwirt und Holzhändler sicher, der wieder in sein Heimatdorf zurückgekehrt ist. „Man hat mir die Jugend geraubt.“ Die Opfer seien alle traumatisiert. Lange quälten ihn Alpträume und Rachegedanken. Heute gibt sich Damir versöhnlich: „Auch Serben haben Angehörige verloren. Du kannst hassen soviel Du willst – am Ende kriegst Du gar nichts dafür“. Fahreta Omerovic, eine 23jährige, aus Srebrenica stammende Sprachstudentin, verlor ihren Vater und mehrere männliche Verwandte. Das Haus ist nur noch eine Ruine. „Ich will nicht mehr zurück. Es ist unheimlich, als wäre es eine Geisterstadt.“ Sie leidet darunter, ohne Vater aufgewachsen zu sein. Aber die Geschichte habe sie gelernt, auf eigenen Beinen zu stehen, zu kämpfen. Die selbstbewusste Muslimin, die mit ihrer Mutter in Sarajewo lebt, bedauert die ethnische Spaltung Bosniens und zieht ein düsteres Fazit. „Ich glaube, wir haben gar nichts aus dieser Geschichte gelernt. Die Vorstellung, dass morgen wieder Kinder ohne Väter, ohne Eltern aufwachsen werden, macht mir Angst. Diese Vorstellung ist grässlich“. kompletter Radiobeitrag:
Kurzbeschreibung
Die Toten vom Odenbruch, unterwegs mit dem Umbetter Erwin Kowallke
Ein paar morsche Knochen, ein Schädel, verrottete Stiefel, ein rostiges Sackmesser – mehr blieb nicht übrig von diesem Menschen, der im Frühling 1945 auf einem Gehöft am Rande Berlins erschossen wurde. Weder ein Soldbuch noch ein Abzeichen verraten die Identität. Behutsam legt Erwin Kowalke die Gebeine in einen schwarzen Pappsarg. Später werden sie auf dem sowjetischen Soldatenfriedhof Lebus feierlich beigesetzt. „Es muss ein Russe gewesen sein, ein Rotarmist oder Zwangsarbeiter. Wir sehen es an den gesunden Zähnen, zudem trugen Sowjetsoldaten keine Erkennungsmarken“. Fast jeden dritten Tag rückt der knorrige 68-Jährige aus, um Kriegstote ans Tageslicht zu holen. Der Ex-Feldwebel der Nationalen Volksarmee hat schon zu DDR-Zeiten Gefallene exhumiert, damals noch konspirativ, unter dem Deckmantel der Kirche. Das kommunistische Regime betrachtete Wehrmachtsoldaten als Täter und untersagte offiziell deren Umbettung. Es dauerte bis zur Wende, ehe Erwin Kowalke nach Frankreich ans Grab seines Vaters reisen konnte. Ab 1990 war er für die Deutsche Kriegsgräberfürsorge tätig, seit 2003 ehrenamtlich. In ihrem Auftrag barg und identifizierte er Tote aus dem Zweiten Weltkrieg, liess sie würdig bestatten, tröstete Angehörige. Auch Jahrzehnte nach Kriegsende sei es wichtig zu wissen, wo der Ehegatte, Vater oder Bruder begraben liegt. „Trauer braucht einen Ort. Ich tue eine humanitäre Arbeit. Jene, die gestorben sind, sind nicht tot. Sie sind nur fern. Tot sind sie erst, wenn sie vergessen sind. So tue ich etwas gegen das Vergessen“. Zwischen Opfern und Tätern mag Kowalke nicht unterscheiden. Das Urteil, ob er auch ab und zu Kriegsverbrecher aus der Erde holt, überlässt der gläubige Christ und evangelische Gemeindekirchenrat von Buckow lieber einem anderen Richter. Rund 20'000 Menschen hat er exhumiert: Soldaten, Zivilisten, Kinder, ganze Familien. Der Hinterpommer im olivgrünen Overall arbeitete bis Ende 2009 als einziger offizieller Umbetter der Bundesrepublik. Auch dem Nachfolger geht die Arbeit nicht aus, liegen doch noch Tausende von Gefallenen und Vermissten im Oderbruch, wo im Frühling 1945 eine der letzten grossen Schlachten tobte. Aber oft treiben Grabräuber ihr Unwesen. „Wenn ich einem Soldaten die Erkennungsmarke wegnehme, vernichte ich seine Identität“, kritisiert Kowalke die illegale Konkurrenz. Anfänglich plagten ihn Alpträume. Erst als ihm ein Freund riet, sich weniger auf Schicksale, als stärker auf die Arbeit zu konzentrieren, liess der Druck nach. „Was wir am Grab übersehen, ist für alle Institutionen, die sich damit befassen, verloren. Seit ich mir dessen bewusst bin, habe ich meine Ruhe“. Die humanitäre „Knochenarbeit“ hat Erwin Kowalke die Sinnlosigkeit des Kriegs immer wieder dramatisch vor Augen geführt. Am stärksten ist er beim Anblick toter Kinder oder Familien berührt. „Das geht an die Substanz.“ Besonders schmerzt ihn zu sehen, wie jung diese Menschen starben. „Man wird automatisch Pazifist, wenn man einen solchen Job macht“. kompletter Radiobeitrag:
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